By Jan Assmann
Der ägyptische Zeitbegriff hat zwei Eigentümlichkeiten: erstens gibt es nicht einen, sondern zwei Begriffe für das, used to be wir ›Zeit‹ nennen, und zweitens können wir diese Begriffe zugleich mit ›Zeit‹ und mit ›Ewigkeit‹ wiedergeben.
Sie bezeichnen die Zeit in ihrer Gesamtheit, ihrer unabsehbaren Fülle. Jan Assmann untersucht die Bedeutung dieses dualen Zeit/Ewigkeitsbegriffs in fünf Schritten. Im ersten Teil wird diese Zweiteilung der Zeit aus der Aspektopposition des ägyptischen Verbalsystems abgeleitet, das sich nicht, wie das uns vertraute auf die drei Zeitstufen Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, sondern auf die zwei Aspekte Imperfektiv/Perfektiv (unabgeschlossen/abgeschlossen) bezieht und mit verschiedenen Symbolisierungen und Personifikationen in Verbindung gebracht. Die eine Zeit der unendlich in sich kreisenden Bewegung, aus der die Zeiteinheiten der Stunden, Tage, Monate, Jahre hervorgehen ist die »Sternzeit«, die Zeit des Sonnengottes, die andere Zeit der unwandelbaren Dauer ist die »Steinzeit«, die Zeit des Osiris.
In einem zweiten Schritt wird diese Unterscheidung inhaltlich konkretisiert als »kosmische« und »moralische« Zeit. Die kosmische »Sternzeit« ist die Zeit der Riten, durch deren Vollzug sich der Mensch in die kosmischen Ordnungen eingliedert. Die »Steinzeit« der Grabmonumente, in denen sich der Mensch ins Gedächtnis der Nachwelt einzuschreiben hofft, ist die Zeit der Rechenschaft und der Geschichte. Speziell dem ägyptischen Umgang mit Geschichte widmet sich der dritte Teil. Hier geht es um den engen Zusammenhang von Zeit, Geschichte und Staat (Königtum), der für das ägyptische Zeitverständnis charakteristisch ist. Der vierte Teil behandelt den Unterschied von linearer und zyklischer Zeit, Irreversibilität und Reversibilität, Steinzeit und Sternzeit unter dem Gesichtspunkt des Endes, das in beiden Dimensionen jeweils ganz unterschiedliche Formen annimmt.
Im letzten Teil untersucht Assmann den grundlegenden Wandel des ägyptischen Zeitdenkens in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. Die aus der Bewegung der Sonne um die Erde ausströmende Sternzeit füllt sich immer mehr mit dem Inhalt von Schicksal und Geschichte, die Zeit, und mit ihr das menschliche Leben und das Geschick des Landes, wird »in Gottes Händen« gedacht.
Read or Download Steinzeit und Sternzeit: Altägyptische Zeitkonzepte PDF
Best german_16 books
New PDF release: Anatomie strategischer Entscheidungen: Komplexität im
Andreas Beisswenger entwickelt aus der Analogie zwischen der Anatomie des Menschen und dem Aufbau von Entscheidungssituationen, die sich beide durch äußerste Komplexität auszeichnen, eine neue Sichtweise auf strategische Entscheidungen. Damit wird ein besseres Verständnis für diese geschaffen. Das crucial analysiert den grundlegenden Aufbau hochkomplexer Entscheidungssituationen.
Download PDF by Jürgen Grimm: Französische Literaturgeschichte
Vom mittelalterlichen Rolandslied bis zur Gegenwartsliteratur. Die beliebte Literaturgeschichte führt durch sämtliche Epochen und Gattungen und ordnet die Meilensteine der französischen Literatur in ihren kulturellen und ideengeschichtlichen Kontext ein. Neben Namen mit weltweiter Strahlkraft wie Molière und Racine, Voltaire, Hugo, Sartre und Camus finden auch weniger bekannte Autorinnen und Autoren, "kleinere" Gattungen wie der Kriminalroman oder die Beur-Literatur sowie movie und Chanson Eingang in eine lebendige Darstellung literarischer Entwicklungen.
Dieter Rasch's Mathematische Statistik: Für Mathematiker, Natur- und PDF
"Mathematische Statistik" hat wegen des gro? en Anwendungsbedarfes stetig an Attraktivitat gewonnen - und auch theoretisch sind neue Ansatze entwickelt worden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Versuchsplanung, die haufig gegenuber der Auswertung vernachlassigt wird. Unter konsequenter Berucksichtigung der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist ein neues Buch entstanden.
Get Gleichstellung messbar machen : Grundlagen und Anwendungen PDF
Dieser Band schließt eine wichtige Lücke in den politischen und wissenschaftlichen Debatten um Gleichstellung, indem die zahlreichen Herausforderungen, die die Entwicklung und Bewertung von Indikatoren für Gleichstellung mit sich bringen, umfassend dargestellt und diskutiert werden. Auf dieser foundation werden allgemeine Kriterien für die Entwicklung von Gender- und Gleichstellungsindikatoren formuliert.
- Bachs Chor Zum neuen Verständnis
- Neue Sachlichkeit 1924–1932: Studien zur Literatur des »Weissen Sozialismus«
- Kritik des Neoliberalismus
- Farbe, Licht und Leben Kunsttherapie mit Senioren: Eine Dokumentation aus zehn Jahren kunsttherapeutischer Arbeit
- Wem gehört die Welt?
- Eine kurze Geschichte der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit
Extra resources for Steinzeit und Sternzeit: Altägyptische Zeitkonzepte
Example text
149 Das Uroboros-Symbol steht dem Begriff Neheh am nächsten. Zu Neheh gehört die Vorstellung eines unendlichen Kreislaufs. In dem Wort nhh steckt das Verb hwj „fließen“. In der Tat gibt es im ägyptischen Denken einen engen Zusammenhang zwischen dem Wasser und der Zeit. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der jährlichen Nilüberschwemmung. Das ägyptische Jahr beginnt (wenigstens theoretisch) mit dem Einsetzen der Nilflut im Sommer. Daher hängen im ägyptischen Denken die Begriffe „Jahr“, „Nil“ und „Verjüngung“ im Sinne von Reversibilität, Rückläufigkeit und Regeneration ganz eng zusammen.
Auch die ägyptische Schlange der Zeit frisst die Stunden, aber bringt sie wieder hervor. Es gibt demnach im ägyptischen Denken eine feste Verbindung zwischen der Zeit und der Schlangengestalt. 118 Die zoologische Erklärung basiert auf der Häutung der Schlange, die allgemein in der Antike als Verjüngung interpretiert wurde, die etymographische ErkläDjet mit der Schlange rung basiert auf der Schreibung des Wortes Femininendung und Determinativ ( = der Laut ‚dj‘ oder ğ) + „Land/Erde“. Das Determinativ der Erde setzt das Wort mit der „Erdhaftigkeit“ der Dauer, also dem Djet-Aspekt der Zeit in Beziehung, die zoologische Erklärung dagegen, die in der Schlange ein Symbol ewiger Verjüngung erblickt, betont den Neheh-Aspekt.
82 Die Negation von Neheh und Djet weist nicht ins absolut Grenzenlose, sondern in das in anderer Weise Begrenzte. Das Jenseits, das wir im vorhergehenden Abschnitt als den durch Neheh und Djet bestimmten Bereich kennen gelernt haben, ist eine durchaus innerweltliche Kategorie. Die Grenze, die ägyptischem Denken zur begrifflichen Unterscheidung von Zeit und Ewigkeit dient, verläuft innerhalb des Seins bzw. des Kosmos. 83 Der physische Tod, der beide Bereiche trennt, ist keine Negation, sondern eine Transformation des Lebens, kein Ende, sondern ein Übergang.